Namibis Spitzkoppe
Diesmal sind es Renato Botte, Michael Thaler, Helmut und ich, als vier Europäer in einem japanischen Auto gegen den Wüstensand Afrikas. Die Straße zielt auf den gekrümmten Horizont zu und soll uns zum Berg führen. 1800 km liegen vor uns, die Landschaft verspricht nichts Abwechslungsreiches und schon am ersten Tag liege ich mit der Lawinenschaufel um 23 Uhr am Hinterrad unseres Autos, welches im Sand versinken will.
Wir starten von Südafrika aus und so bleibt uns die Zeit im Auto nicht erspart. Die Hauptstraßen sind hier ausgezeichnet und nur kleine Verbindungswege weisen etwas Sand auf. Da unser niedliches japanisches Auto, eine ausgeprägt Wüstensandallergie hat und immer im Sand versinkt, kann es doch nicht an mir als Fahrer liegen. Meine Freunde die immer wieder schieben und graben müssen, sehen das ganz anders. Mit der Rallye Paris – Dakar wird wohl noch nichts werden.
Ganz weit hinten, dort wo das Auge eine Linie zieht, zwischen Himmel und Erde, taucht ein kleiner Punkt auf, die Spitzkoppe, der Berg an dem wir uns versuchen wollen. Wie ein Dorn, ragt der Granitfels aus einer kargen, nüchternen Landschaft heraus und nicht unweit beginnen die Sanddünen der Namib. Begeistert von der Umgebung, fixieren wir die Wände, an denen wir hochklettern wollen. Da es hier unzählige giftige Schlangenarten gibt, gilt: „Was dich nicht sticht oder beißt, frißt dich auf“, und so rede ich mir ein, daß hinter jedem Stein eine Schlange auf mich und meinen Unterschenkel wartet.
Hatte uns doch Kurt Albert vor unserer Abreise gewarnt, wir sollten bedacht über Fels und Stein steigen, um keines der Tiere zu erschrecken. Erfolglos versuchte er mich zu beruhigen, indem er mir klar machen wollte, daß jährlich nur zwei Personen in Namibia an Schlangenbissen sterben.
Sofort zählte ich mich zu jenen Zweien dieses Jahres. Was auch immer Kurt mit dem „bedacht“ gemeint haben mag, nahm ich mir vor, seinen Rat zu befolgen.
So schlagen wir uns durchs Gestrüpp, bis zum Fuße der Südwestwand der Spitzkoppe. Lustvoll getrieben steigen wir in einem links hochziehenden Riß ein, der nach 2 Seillängen in purer Plattenkletterei endet. Hohe Temperaturen, der Wüste entsprechend, sowie das ständige Anpressen der Reibungstritte lassen unsere Füße einen höllischen Feuertanz erleben.
Angetrieben von einem Cocktail aus Mut, Angst und dem Willen etwas Intensives erleben zu wollen, klettern wir immer höher und zeichnen somit eine bogenförmige Linie in die Wand. Während wir abends die „pflichtgemäßen“ Thunfischnudeln verdrücken und Much für reichlich Nachschub an lauwarmen Bier sorgt, hängen unsere Gedanken noch oben in der Wand. Irgendwie ist es hier anders als in Mali, nicht so heiß, wir sind weniger gestreßt, ganz einfach, diesmal geht’s uns gut.
Bei der Erstbegehung einer Route klettert man in unbekanntes Gelände. Die Ungewissheit, ob die nächste Kletterstelle überhaupt möglich sein wird, sitzt einem im Nacken. Noch nie hat jemand diesen Griff gehalten, noch nie jemand diese Kletterbewegung dort oben vollzogen. Wir sind in Spannung versetzt, denn vieles muss mitspielen, dass sich unser Projekt in ein positives Erlebnis auflöst.
Für viele zählt diese Art der Kletterei gar nicht richtig zum Bergsteigen; wie auch immer, ich bin kein Missionar für Unwissende und Blinde. Es ist „die Freiheit aufzubrechen wohin ich will“ und nicht das Gejagtwerden von Prestigezielen, warum meine Freunde und ich Unbekanntes suchen und erleben wollen.
Neun Seillängen weit oben, sitze ich in einem Loch und sichere Renato, der ober mir eine schwere Platte hochpresst. Nur für kurze Zeit wird mir diese Ausbuchtung in der Wand noch Schatten spenden, bis ich zu ihm nachklettern muss, um oberhalb von ihm an Höhe zu gewinnen. Die Plattenkletterei ist doch so steil, dass man den Gipfel nicht sehen und den Ausstieg nur erahnen kann. Nach zweieinhalb Tagen und 12 Seillängen erreichen wir das gipfelnahe Gelände, wo unsere Route endet. Bis zum Endpunkt des Berges sind es noch 200 Meter leichtere Kletterei. Wir sitzen am Gipfel und wiedereinmal kreisen große Vögel über unseren Köpfen. Wir wissen, wir sind hier so lange geduldet, so lange wir klettern. Zwei Zeichen des Berges, die bogenförmige Linie und ein Felsausbruch am Wandfuß, inspirieren uns zum Routennamen: „Herero Arch“.
Herero hat nichts mit Heldentum zu tun, sowas gibt des in den Bergen nicht, und auch nichts mit einem spanischen Stierkämpfer, es ist ein Stammesvolk in Namibia. Der Felsausbruch, der den Einstieg der Route ziert, gleicht dem traditionellen Kopfschmuck der Hererofrauen.
An der Spitzkoppe und den umliegenden Felsen gibt es einige tolle Linien zum klettern. Genügend Platz findet man auch für neue Routen, die dann meist von Eckerhard Haber begutachtet werden. Er kommt ursprünglich aus Deutschland und lebt in Windhoek, der Hauptstadt Namibias. Seine Motivation macht ihn zum fleißigsten Erschließer dieser Felsen.
Aus Erzählungen hörten wir, über Leoparden die um die Spitzkoppe schleichen und die Geschichten von den furchteinflößenden, tödlichen Schlangen. Eines steht fest, jedem erdenklichen afrikanischen Tier sind wir begegnet, den graziösen Giraffen, den mächtigen Elefanten, den stolzen Löwen, …nur keiner Schlange!
Die afrikanische Hitze und die Angst vor Tropenkrankheiten sind Faktoren, die leistungsorientiertes Klettern in Afrika manchmal beeinträchtigen. Aber diese Reisen sind mehr als nur eine Begegnung zwischen Kletterer und Felsen. Es ist die Mischung aus Neuem entdecken und intensiven Erleben. Die Zeit an diesen Bergen und das Zusammentreffen mit den Volk der Dogon in Mali und dem Stamm der Himba in Norden Namibias sind für mich jene Momente, wo sich der „Zauber Afrikas“ einen kurzen Augenblick enthüllt.
(Text Pauli Trenkwalder)