Expedition Venezuela 2003

Kletterroute „Jardieneros de grandes paretes“.

Hier einige Eindrücke von einer Besonderen Kletterreise zum Acopan Tepui

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Langsam zieht der große Airbus seine Kurve oberhalb der Millionenmetropole Caracas. Nach acht Stunden Flugzeit kommen wir, Helli, Pauli, Toni, Walter und ich in Venezuela an. Dort wartet Ivan, ein einheimischer Kletterer auf uns.
Ein neues Abenteuer hatte schon längst in unseren Köpfen begonnen. Wir suchten wieder ein unbekanntes, exotisches, spannendes Ziel. Helli unser Zugpferd, holte jede Menge Informationen ein. Freude, Spannung, Ungewissheit kam auf, Berge wie Roraima, Cucinan, Antepui und Acopan beschäftigten uns.
Erwartungsvoll stehen wir jetzt hier in der schwülen Wärme der Großstadt, vollbeladen mit Kletterausrüstung und aufmerksam, weil der Ruf von Caracas nicht der Beste ist. Ivan der wohl auch gespannt ist, wer da anrückt, erwartet uns schon.

Die Anreise…
Es läuft alles wie geschmiert und bereits am nächsten frühen Morgen sitzen wir in einem Autobus, der uns Richtung Süden, zu unserem nächsten Ziel St. Elena bringen wird. Der total unterkühlte Bus donnert – auf Venezuelas Strassen gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung und kaum Verkehr – in neunzehn Stunden Fahrtzeit bis zur brasilianischen Grenze.
Gegen Mittag sind wir in St. Elena einem kleinen Grenznest mit Wildwestflair. Nur sehr wenige Touristen mischen sich unter Goldgräber, Militär und Pémonindianer. Wir befinden uns hier im Hochland von Guayana, einem riesigen Granitsockel, der in den frühesten Abschnitten der Erdgeschichte entstanden ist.
Die markantesten Gebilde dieser Gegend sind die Tepuis, was soviel wie „Haus der Götter“ heißt. Diese türmen sich senkrecht aus dem flachen Land der Gran Sabana auf. Die Tepuis sind meist von einem dichten Dschungel umringt und wegen ihrer schweren Erreichbarkeit kaum erforscht und großteils nie bestiegen worden. Viele kleinere und größere Wasserfälle stürzen in die Tiefe und tragen zum einzigartigen Landschaftsbild der Gran Sabana bei.
Wir kaufen Lebensmittel, Benzin und Machete und organisieren dann einen Buschflieger. Nur mit diesem können wir unser Ziel, den Tepui Acopan, erreichen.
Wir rattern mit dem total überladenen Fluggerät auf die holprige Startbahn. Ob das wohl alles gut geht?
Raphael, der laut Ivan als der beste Pilot der Gran Sabana gilt, macht das Kreuzzeichen und zieht die Maschine nur langsam höher. Nach einer Stunde Flugzeit über das flache trockene Land, durchzogen von vielen Flussläufen umrahmt von Dschungel, deutet er auf eine Häuseransammlung, unser Ziel. Noch ein spektakulärer Rundflug um den Acopan und dann drückt er die Maschine schnell auf einem sehr kurzen Stück Grassteppe nieder.

Nirgendwo…
Sobald sich der aufgewirbelte Staub legt sind wir umgeben von Kindern, Männer, Frauen und alten Menschen die sich über die unterhaltsame Abwechslung erfreut zeigen. Nur die Kleinen verstecken sich vor uns. Unser „Draht“ zur Zivilisation schwebt davon, er wird in zwei Wochen wieder kommen…
Ivan erklärt den Eingeborenen unser Projekt, ein beeindrucktes „oh“ geht durch die Gruppe. Wir sind willkommen und werden sofort unter einem Bambusdach untergebracht.
Mehrere Männer helfen uns, das Material zum Basislager zu schleppen. Bei großer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit überqueren wir Flussläufe, schwitzen über eine weite Grassteppe und schlägern uns durch den Dschungel. In der Nähe eines Baches richten wir unser Basecamp ein.
Leonardo, Dorfoberhaupt, Priester, Lehrer, Dschungelführer und Vater von acht Kindern wird uns die nächste Zeit begleiten. Er baut sich ein Bambushaus und befestigt seine Hängematte. Wir ziehen, zwecks Moskitoschutz, das Zelt vor. Diese schlagen unerbärmlich zu. Am zweiten Tag bin ich schon total zerstochen.

Die Kletterroute…
Mit Fernglas suchen wir die Wand nach einer logischen Linie ab. Hier haben wir die absolute Freiheit, denn es gibt noch keine Route an diesem schier unendlich großen Massiv. Vorher gibt es aber einige Hürden zu berücksichtigen, das ist einmal der Zustieg durch den Dschungelgürtel. Bereits die Geräusche und die vielen Geschichten über Schlangen, Tiger und Spinnen lassen mich ganz klein und vorsichtig werden, aber wir können nicht alle als Letzter gehen. Der Wald ist teilweise so steil, dass man sich an Lianen und Wurzeln zum Felsen hangeln muss. Die nächste Schwierigkeit ist der Felsen selber. Er ist nicht überall einwandfrei. Menschengroße Sandsteinblöcke lauern und warten auf das Herunterfallen.
Gemeinsam finden wir unsere Linie. Ein markanter, vorgelagerter Turm mit auffallendem Hut ist unser Ziel. Eine Stunde Zustieg durch Dschungel, Wasserläufe und Schlamm, eine weitere Stunde über eine steile mit hohem Gras bewachsene Moräne. Wie wir bald merken, ist das der bevorzugte Lebensraum von Schlangen.
Am Einstieg teilen wir uns auf. Leonardo beobachtet sehr aufmerksam unser Tun.
Seillänge um Seillänge klettern wir im Niemandsland höher, wissen nicht, was auf uns zukommt, angespannt, gleichzeitig sehr beeindruckt und motiviert, klettern wir höher. Guter Fels, Risse, Quergänge, Kakteen, Dächer, Griffe, Höhlen, Schuppen.
Am Abend steigen wir dann ab zu unserem Basecamp; Essen ausgiebig, trinken, unterhalten uns über Gott und die Welt. Hauptthema ist natürlich immer wieder unsere Wand. Seit mir Helli vor einem Jahr das Foto mit Aufschrift „Hast du das schon gesehen?“ geschickt hat, beschäftige ich mich mit dieser Reise. Jetzt sind wir hier, sind das Wagnis eingegangen, wir sind uns bewusst, dass auch Scheitern möglich ist. Im Grunde ist es unnütz, umsonst, überflüssig. Für mich ist es zu diesem Zeitpunkt das Wichtigste.

Und es geht sich auf….
Eine Seillänge unter dem Gipfel, unter einem Felsvorsprung verbringen wir alle gemeinsam eine Nacht in der Wand. Wir haben so richtig Spaß, blödeln, verdrücken Thunfisch aus der Dose, ein paar Kekse. Nix geht uns ab. Wir starren in den Regen, der kübelweise vom Himmel prasselt. Am Morgen werden wir mit einem herrlichen Sonnenaufgang belohnt, langsam wird es wärmer, die ersten Sonnenstrahlen leuchten in glückliche Gesichter. Wir haben noch die letzte Seillänge zum Gipfel, dann wird ein Traum Wirklichkeit. Es ist uns gelungen, ein neues Ziel zu erreichen, es zu entzaubern.
Wir stehen gemeinsam ganz oben. Ich bin glücklich. Nach der Schufterei, dem Vorsteigen, dem Jümaren, dem Durst, dem Sichern, dem Klettern, dem Abseilen, dem Auf- und Absteigen ins Lager.
Wir seilen ab und nehmen die Fixseile wieder mit. Es bleiben nur die Standplätze in der Wand.
Wir bauen unser Basecamp ab und kehren zurück nach Ynet, unserem Ausgangspunkt. Sofort versammelt sich die ganze Dorfgemeinschaft um uns. Sehr aufmerksam horchen Jung und Alt, was Leonardo, das Dorfoberhaupt, zu erzählen hat.
Dieses Zusammentreffen mit den Einheimischen, das Kennenlernen fremder Kulturen und Lebensweisen ist immer wieder sehr aufregend und beindruckend, und macht einen wesentlichen Teil unserer Kletterexpeditionen aus.
Insgesamt leben in diesem Dorf sieben Familien mit fünfunddreißig Kindern. Die Kinder besuchen die Schule, die gleichzeitig auch als Kirche dient. Allerdings gibt es die Schule noch nicht lange, die älteren Dorfbewohner zählen noch nach dem alten Zahlensystem das nur bis drei geht, alles was danach kommt, fällt unter die Kategorie ‚viel‘. Es gibt hier kein Krankenhaus, kein Fernsehen, keine Autos. Die nächste Ortschaft liegt ungefähr 4 Tagesmärsche entfernt. Die Menschen haben gerade ausreichend zu essen. Die Männer gehen auf die Jagd und die Frauen bearbeiten die wenigen Yuccapflanzen und Bananenbäume. Am Nachmittag treffen sich alle zum Fußball- oder Baseballspielen.
Es tut gut, die Zufriedenheit und Ruhe dieser Menschen mitzuerleben. Vollgetankt mit Erlebnissen, Eindrücken und neuen Freundschaften kehren wir nach Europa zurück.

Tepui Acopan, Venezuela
Die Route “ Jardieneros De Grandes Paretes“ (8+) 10 Seillängen an der O-Wand des Tepui Acopan wurde im November 2002 durch Helmut Gargitter, Walter Obergolser, Toni Obojes, Pauli Trenkwalder, Ivan Calderon und Renato Botte erstbegangen. Sie wurde von unten erschlossen. Die Standplätze sind mit einem Bohrhaken und einem Normalhaken versehen. Wiederholer brauchen einen Satz Friends, Mikrofriends und einen Satz Klemmkeile.